I’m a Bitch, I’m a Lover, I’m a Child, I’m a Mother, I’m a Sinner, I’m a Saint…

…And I Do Not Feel Ashamed krächzte Meredith Brooks 1997 ins Mikro, und wer die Neunziger zumindest halbbewusst miterlebt hat weiß, dass das schon einer der besseren Top-Ten-Hits dieses Jahrzehnts war. Eine kleine Weile zuvor hat ein Barde mit Bart (vermutlich) das tägliche Rollenspiel, das wir spielen, ein wenig poetischer ausgedrückt. Das klang dann so:

All the world’s a stage,/ And all the men and women merely players: / They have their exits and their entrances; / And one man in his time plays many parts, […] (Shakespeare, As You Like It, Act II, Scene VII)

Egal, ob man es schnodderig oder poetisch in Worte fasst: Wer lebt und sich minimalst am sozialen Leben beteiligt kommt ums Rollenspiel nicht herum (jedenfalls nicht außerhalb des eigenen Schlafzimmers). Manche Rollen suchen wir uns selbst aus und genießen diese bisweilen sehr: Das waren/sind bei mir zum Beispiel die Rolle als Student, Freundin, Drummerin und Hörer bestimmter Musik (die inkonsequente Verwendung des weiblichen Suffixes ist Absicht). Vielleicht machen diese Rollen besonders viel Spaß, weil man sie frei wählen kann. Anders zum Beispiel ist es mit der Rolle als Angehöriger einer Nation, Steuerzahler oder Kind. In diese wird man erstmal hineingeboren. Auch, wenn man diese Rollen natürlich sehr individuell (aus)leben kann – oder im Fall der Staatsangehörigkeit die Rolle wechseln – ganz ablegen kann man sie nicht. Nun gut, vielleicht mag es mit riesigen Kosten und Mühen theoretisch möglich sein in seinem eigenen staatsfreien Gebiet zu leben – Kind bleibt man ein Leben lang, selbst dann, wenn die Eltern sterben. Andererseits teilen wir diese Rolle ja mit allen anderen Menschen. Ist diese Kinderrolle dann überhaupt noch eine Rolle, die eine Rolle spielt? Vermutlich fast jeder, der Eltern hat, wird bestätigen: Jepp. Ob inniges, professionell-distanziertes, abgebrochenes oder wohnungsteilendes Verhältnis zu den Eltern besteht: Egal ist diese Rollen-Beziehung fast niemandem.

Wie ist es jetzt aber mit der Mutterrolle? Diese ist eine, die man sich sowohl aussucht als auch – einmal angetreten – eine, die man nicht mehr ablegen kann. Selbst wer sich entscheidet, sein Kind zur Adoption freizugeben, wird zumindest ein Leben lang die biologische Mutter des eigenen Kindes bleiben. Über diese Endgültigkeit der Beziehung, die ich mit meinem Kind eingehe, habe ich mir vor der Schwangerschaft keine Gedanken gemacht. Da habe ich darüber nachgedacht ob ich einmal ein Kind “haben” will – als könnte man Menschen besitzen. Die Frage, ob ich Mutter werden will – und vor allem, was für eine Mutter ich werden will – habe ich mir ehrlich gesagt nicht gestellt. Ganz abgesehen davon, dass mich auch als ungeplant Schwangergewordene dieselben Fragen plagen wie viele andere Schwangere (Werde ich eine gute Mutter? Was macht für mich eine gute Mutter aus? Werde ich mit der Verantwortung fertig?) überwältigt mich plötzlich die Ambivalenz von Kind-bleiben-und-Mutter-werden. Für meine Eltern bleibe ich Kind, aber trotzdem verändert sich auch unsere Beziehung schon in der Schwangerschaft. Plötzlich ist den werdenden Großeltern der Bauchzwerg anscheinend mindestens genauso wichtig wie ich, was zu so skurrilen Handlungen und Kommentaren führt wie diesen:

– Die eigene Mutter hält einen beim Überquren der Straße energisch am Ärmel fest und schreit: “Achtung! Du musst jetzt besonders aufpassen, dass du nicht vom Auto angefahren wirst!” – Als wäre es egal, wenn mich nichtschwanger ein Laster erfasst und zu Pampe matscht.

– Alles, was mir früher von Muttern zu meiner eigenen Erbauung und Gesundheit geraten wurde (“Geh einmal am Tag vor die Tür! Du brauchst Sonnenlicht! Iss regelmäßig! etc.”) dient jetzt scheinbar nur noch dem Bauchzwerg, und nicht mir: Plötzlich muss ich den Bauchzwerg einmal am Tag vor die Tür führen, braucht der Bauchzwerg Sonnenlicht (haha – wie soll das gehen?) und essen tue ich schon lange nicht mehr für mich selbst sondern für den kleinen Zwerg, der an der Nabelschnur zieht und so seine Bestellungen aufgibt.

Ihr merkt, dass ich übertreibe. Natürlich ist es schön, dass sich meine Mutter um das Wohl ihres Enkels sorgt, und vermutlich bin ich einfach nur NEIDISCH AUF MEIN EIGENES KIND, weil es mir schon jetzt Muddis und Vaddis Aufmerksamkeit stiehlt. Dass das keine erwachsene Haltung ist, ist mir klar. Es ist vermutlich der Trotz meines inneren Kindes (das übertragene), der schnaufend an die Luft kommt und sich wie eine Dampflok empört. Moralisch gesehen beginnt jetzt eine Zeit, in der ich zurückstecken muss (tun das Mütter nicht dem Cliché nach?) und der Zwerg an erster Stelle kommt. Vermutlich, wie ich schon an anderer Stelle geäußert habe, wird es gar keine Frage sein, dass ich dem hilflosen Winzling nach der Geburt jeden Wunsch von den Lippen abhöre und möchte, dass es ihm rundum gut geht. Ich werde das kleine, trotzige, 12-jährige Mädchen in mir zur Seite nehmen müssen und ihm erklären, dass es jetzt mal zurücktreten muss, dass ich es immernoch lieb habe und es nicht vergessen werde, dass ich aber jetzt auch die Mutter spiele für das kleine Wesen, das komplett auf mich angewiesen ist. Vielleicht hilft dieses Bild, die beiden Rollen miteinander zu vereinen und auch emotional zu verstehen, dass sie sich nicht gegenseitig ausschließen. Letztendlich bekommt das 12-jährige Mädchen ein Geschwisterchen. Im besten Fall gelänge es mir also, dir beides zu sein, kleiner Bauchzwerg: Mutter und Schwester/Freundin. Dass ich während des Verfassens dieses Textes 8 Rochers verdrückt habe, bleibt aber bitte unser süßes Geheimnis, ok?